Werkstatt

Hier in der Werkstatt geht es nun mit dem 57. Roman 'aus der Detektei Lessing' weiter !

Er spielt in Wolfenbüttel und Schöppenstedt und trägt den Titel: 'Dezemberblues' .

Ab sofort habt ihr wieder die Möglichkeit mit eigenen Ideen an der neuesten Detektivgeschichte aus der Lessingserie mitzuwirken.

Falls ihr eigene Ideen zu den Spielorten habt, solltet ihr mir diese via Mail zukommen lassen.

 

uwe.brackmann59@gmail.com

 

Eure Ideen werden, soweit sie umsetzbar sind, berücksichtigt und euer Name, wenn gewünscht, als Coautor im Buch berücksichtigt.

 

 

Start der Leseprobe

Detektei Lessing

Band 57

Dezemberblues

Einleitung

 

Wie immer, wenn einer dieser Anfälle vorbei war, tauchte vor seinem geistigen Auge das Bild einer Frau auf, die in einem kaltweißen Zimmer mit Lederriemen an ein Bett geschnallt war. Es war keine Vision, keine Fantasterei. Die Frau war seine Mutter. Nachdem ihre Krankheit so schlimm geworden war, dass sie anderen gefährlich wurde, hatte sie Jahre in diesem Zimmer zugebracht. Bis sie darin gestorben war.

Jahre, in denen er sie versorgte, - so gut es ging. Sie mit einer angemischten Tinktur verschiedenster Kräuter ruhigstellte und nicht nur wegen ihrer guten Rente am Leben hielt. Viele Stunden hatte er an ihrem Krankenbett gewacht und ihr immer wieder Märchen vorgelesen. Sie war seine einzige Bezugsperson, und so war er dazu verdammt, sie am Leben zu halten.

Seine Anfälle begannen kurz nach dem Tod seiner Mutter. Als sei das, was sie in den Tod getrieben hatte, nicht mit ihr gestorben. Aber sie hatte ihm noch etwas anderes hinterlassen – eine Aufgabe, wenn man so wollte. Und dieses Vermächtnis wollte Toni erfüllen – er musste es einfach!

1.

Schon seit einigen Wochen flutschte es in meiner Detektei geradezu. Trude, Axel, Leonie und ich kamen mit der Arbeit kaum hinterher. Woran es lag, keine Ahnung. Vielleicht hatte sich die Qualität unserer Ermittlungen endlich herumgesprochen. Wie auch immer, es war ein gutes Gefühl, auch mal einen Bonus für gute Arbeit zahlen zu können. Wie sehr ich meine Mitarbeiter damit überraschte, weil ich ja eigentlich als knickerig galt, war nicht zu übersehen.

„Was ist bloß los mit Ihnen, Chef?“, erkundigte sich Leonie, als ich ihr einen opulenten Fresskorb für das Handschuhfach ihres neuen Wagens spendierte. „Damit du dich bei künftigen Observationen nicht mit Frischeiwaffeln und Zwieback über Wasser halten musst“, erklärte ich. „Das ist so lieb von Ihnen, Chef. Schade, dass mein Wagen kein größeres Handschuhfach hat, vielleicht wäre der Fresskorb dann auch größer ausgefallen.“

So ist das im Leben, da kannst du dich mühen, wie du willst und kannst es doch niemandem recht machen. Nun gut, wir alle sind eben so, wie wir eben sind. Wichtig ist, dass man sich auf einander verlassen kann und das können wir. Axel und meine Mädels sind so loyal, wie ich sie mir gar nicht wünschen kann. Wir hatten schon so manche Schlacht zusammen gewonnen und wir waren dabei durch dick und dünn gegangen.

Es war einer dieser Montage, an denen irgendwie nichts zu klappen schien. Zunächst brach ich den Haustürschlüssel in der Wohnungstür ab und dann hörte ich Trude in ihrer unnachahmlichen Weise aus der Kaffeeküche fluchen.

„Was ist los, ist der Kaffee alle?“, erkundigte ich mich in gebührendem Abstand. „Jetzt hat die alte Maschine wohl endgültig den Geist aufgegeben“, seufzte sie. „Ausgerechnet heute.“ „Wieso, ist es nicht egal, wann das Ding seinen Geist aufgibt?“ „Eben nicht“, hielt Trude dagegen. „Das Reparier-Café in der Dr.-Heinrich-Jasper-Straße öffnet erst am Freitag wieder.“ „Unsere alte Kaffeemaschine bekommen die da bestimmt auch nicht mehr hin“, befürchtete ich. „Immerhin hat das gute Stück nach der letzten Reparatur fast zwei Jahre ohne Murren durchgehalten.“ Ich sah Trude erstaunt an. „Wie, die Maschine war schon mal dort?“ „Ach Chef, Sie wissen so manches nicht.“

In mir reifte die Erkenntnis, dass es an der Zeit für eine neue Maschine war, als sich die Tür zu meiner Detektei öffnete und eine ältere Dame die Anmeldung betrat. „Okay, ich bin dann mal weg“, rief ich meiner Putzsekretärin zu und stiefelte über die Treppe in die über der Detektei gelegene Wohnung. Das Haustürschloss hatte Priorität. Meine Liebste sollte am besten nichts von dem abgebrochenen Schlüssel mitbekommen.

Bereits nach zwei Minuten stellte sich die Frage, wie ich den abgebrochenen Bart aus dem Schloss der verschlossenen Haustür herausbekommen sollte. Mit den Jahren als Detektiv hatte ich zwar schon einige Zylinder ausgetauscht, aber diesmal war selbst ich überfordert. Der Schraubendreher in meiner Hand brachte mich zumindest nicht weiter. Ich rieb mir gerade nachdenklich den Nacken, als mich Trude über mein Handy zurück in die Detektei beorderte.

„Gut, dass Sie noch da waren, Chef“, empfing sie mich händeringend. „Das ist Frau Sölltig“, stellte sie mir die ältere Dame vor, die ich noch aus den Augenwinkeln sah, als sie die Detektei betrat. „Sie müssen mir unbedingt ganz schnell helfen“, flehte sie. „Wo brennt es denn?“, fragte ich fürsorglich nach. „Ich leite die Kleiderstube in Schöppenstedt. Das angeschlossene Klön-Café ist ein sozialer Treffpunkt für viele ältere Mitbürger.“

Ich unterbrach Frau Sölltig, um sie in mein Büro zu bitten. „Machen Sie uns bitte einen Kaffee, Frau Berlitz.“ „Womit denn?“, entgegnete die gute Seele. Ich griff mir an den Kopf. „Ach ja, ich vergaß.“ „Na gut, ich lasse mir etwas einfallen“, versprach sie und verschwand in der Küche.

„Unsere Maschine ist heute Morgen leider kaputt gegangen“, erklärte ich der potentiellen Klientin, während ich ihr einen Sitz vor meinem Schreibtisch anbot. „Was genau führt Sie denn zu mir?“, hoffte ich auf einen lukrativen Fall. „Es geht um Renate Coburg. Eine alleinstehende Schöppenstedterin, die seit vielen Jahren an jedem Dienstag und auch an jedem Donnerstag in die Kleiderstube kommt. Mit der Zeit haben wir uns angefreundet und daher sehe ich es als meine Pflicht an, mich ein wenig um sie zu kümmern.“ „Das ehrt Sie.“

„Nachdem sie am Dienstag zum ersten Mal seit Jahren nicht kam, dachte ich, sie sei erkrankt.“ „So etwas kommt ja schon mal vor“, reagierte ich gelassen. „Ja sicher, aber als sie am Donnerstag wieder nicht kam, bin ich zu ihr gefahren, um nach dem Rechten zu sehen.“ „Und?“ „Sie war nicht da. Zumindest hat sie nicht aufgemacht“, sorgte sich Frau Sölltig. „Ich sah durch die Fenster ins Haus, konnte aber nichts erkennen. Der Gedanke, sie liegt irgendwo hilflos im Haus, lässt mich nicht zur Ruhe kommen.“

Eine solche Situation ist beunruhigend, was das betraf, konnte ich die Frau vor meinem Schreibtisch gut verstehen, andererseits fragte ich mich, was sie in dieser Angelegenheit von mir erwartete. „Waren Sie schon bei der Polizei?“, erkundigte ich mich daher. „Ja natürlich, das war mein zweiter Gang.“ Ich war gespannt, ob die Beamten etwas unternommen hatten.

„Als klar war, dass Frau Coburg keine Angehörigen hat, sind wir gemeinsam zu ihrem Haus gefahren. Nachdem auch der Polizei nicht geöffnet wurde, sahen sich die Beamten auf dem Grundstück um. Da ihnen nichts ungewöhnlich vorkam und die Gardinen an den Fenstern diesmal weit genug aufgezogen waren, um hineinschauen zu können, bestand für die Polizei kein ausreichender Grund, um die Tür aufzubrechen.“

Ich sah Frau Sölltig durchdringend an. „Was bitte erwarten Sie jetzt von mir?“ „Sie haben doch bestimmt so einen Dietrich, um die Tür auch so aufzubekommen.“ Die Frau hatte mich auf eine Idee bezüglich meines abgebrochenen Schlüssels gebracht. „Ich fürchte, Sie lesen zu viele Krimis“, raubte ich ihr eine weit verbreitete Illusion. „Auch ich kann nicht einfach in ein fremdes Haus einbrechen.“ „Na ja, so ganz fremd ist es ja nicht“, argumentierte sie mit einem Zwinkern. „Was, wenn sie da doch irgendwo hilflos herumliegt?“

 

2

Ein Blick in die Vergangenheit.

„Dein Vater hatte ganz recht, als er mich wegen dir verließ“, schimpfte Maria mit ihrem Sohn. „Du bist ein Nichtsnutz und ein Versager. Man kann dich noch nicht mal einkaufen schicken.“ „Aber ich kann doch nichts dafür, wenn in der Hosentasche ein Loch ist“, rechtfertigte sich der Zehnjährige. „Du gehst jetzt und suchst das Geld, bis du es gefunden hast!“, schrie seine Mutter ihn an. „Und wage es nicht, ohne den Einkauf zurückzukehren.“

Toni wandte sich wortlos ab. Tränen liefen über sein trauriges Gesicht. War er wirklich zu blöd, um einen einfachen Wunsch seiner Mutter zu erfüllen? Seit sein Vater die kleine Familie verlassen hatte, war alles anders. In der Schule wurde er deswegen gehänselt und niemand wollte noch etwas mit ihm zu tun haben. Seine Noten waren immer schlechter geworden und unter seinem Zeugnis stand, dass die Versetzung gefährdet sei. Am schlimmsten aber war, dass seine Mutter seitdem viel zu viel Alkohol trank. Vielleicht war sie deshalb auch schon seit einigen Wochen nicht mehr zur Arbeit gegangen. Toni wusste es nicht und im Grunde wäre es ihm auch egal gewesen, wenn sie ihre Wut nicht immer an ihm ausließe, wenn sie getrunken hatte. Immer dann behauptete sie, dass sein Vater seinetwegen gegangen war, und er die Schuld an allem trug.

Während er den Weg zum Einkaufsladen nach dem Geld absuchte, wurde die Last, die ihm auf der Brust lag, immer schwerer und der Kloß in seinem Hals immer größer. Je näher er dem Geschäft kam, umso mehr schwand seine Hoffnung, das Geld wiederzufinden und ein Gefühl von Panik keimte in ihm auf. Als er den Parkplatz und kurz darauf den Eingang des Ladens erreicht hatte, geschah alles Weitere, als wenn er ferngesteuert würde.

Er ging hinein, griff nach den Dingen, die er für seine Mutter besorgen sollte, schob sie unter seinen Pullover und stellte sich in die Reihe der Wartenden vor die Kasse. Als die Kundin vor ihm den Weg freimachte, lief er los, rannte auf die Schiebetüren zu, um das Geschäft ohne zu bezahlen zu verlassen. Mit Entsetzten musste er feststellen, dass sich die Glastüren nicht wie gewohnt öffneten und er in der Falle saß. In seiner Panik trat er dagegen. Die Türen schwankten bedrohlich. Die gestohlenen Sachen rutschten unter dem Pullover hervor und fielen zu Boden.

Vor dem Eingang sammelten sich immer mehr Leute. Sie waren wütend und schimpften auf ihn. Sie machten ihm Angst. Als er die Ausweglosigkeit erkannte, setzte er sich einfach auf den Boden und weinte. Als er wieder aufsah, beugte sich eine Verkäuferin zu ihm herab. „Ich bin die Sahra und du?“, fragte sie. „Toni.“ „Na dann komm mal mit.“

Kurz darauf saß er in einem Büro und erzählte Sahra von dem verlorenen Geld. „Tja Toni, da kann ich dir leider nicht helfen. Die Polizei wird gleich hier sein, aber wenn du den Beamten erzählst, weshalb du gestohlen hast, wird es bestimmt nicht so schlimm.“

Schlimm wurde es erst, als ihn die Polizisten im Streifenwagen nach Hause brachten. Sie waren kaum weg, als er von seiner Mutter mit dem Riemen geschlagen wurde. Von nun an hatte er die Hölle auf Erden. So vergingen die Jahre, ohne dass er es ihr jemals wieder recht machen konnte. Seine Kindheit verging, ohne dass er Freunde hatte, ohne dass er ein Mädchen kennenlernte und ohne dass er eine Ausbildung begann.

Als er sechzehn war, erkrankte seine Mutter schwer, und Toni pflegte sie, ohne dass sie ihm dankbar gewesen wäre. Im Gegenteil, als der Tee einmal zu heiß war, kippte sie ihn Toni ins Gesicht. Das Wasser verbrannte seine Haut. Es bildeten sich Narben, die fürchterlich schmerzten und ihn entstellten. Als er sich im Spiegel sah, fasste er den Entschluss, sich vor ihr zu schützen.

In der darauffolgenden Nacht schlich er sich in ihr Schlafzimmer. Sie schnarchte. In seiner Hand hielt er eine Taschenlampe, die kaum mehr als einen matten Lichtschein an die Wand hinter ihrem Bett warf. Er wagte es nicht, sie direkt anzuleuchten, tastete sich vorsichtig durch den Raum, bis er ihr Bett erreichte. Vorsichtig führte er ein Ende des mitgebrachten Seils um den linken Bettpfosten und das andere Ende um ihr Handgelenk. Behutsam zog er es an. Sie schnaufte, hustete und schlief weiter. Zwischenzeitlich hinter dem Bett abgetaucht, nahm er sich nun der rechten Seite des Bettes an. Auch hier ging er in der gleichen Weise vor.

Sie schnaufte erneut, diesmal heftiger. Sie keuchte, schreckte aus dem Schlaf und wollte sich drehen. Toni zog das Seil mit aller Kraft straff an. Als sie merkte, dass sie an beiden Händen gefesselt war und sich kaum noch rühren konnte, war es zu spät. Während sie ihn anschrie und beleidigte, schnürte er trotz ihrer Tritte und obwohl sie sich immer wieder aufbäumte, auch ihre Beine zusammen. Letztlich klebte er ihr, obwohl es eigentlich nicht notwendig war, ein breites Klebeband über den Mund. Schließlich ließ er sie tobend zurück und legte sich schlafen.

Am nächsten Morgen erwachte er in einem anderen Leben. Von nun an konnte sie ihn nicht mehr schlagen und immer dann, wenn sie ihn beleidigte oder anschrie, klebte er ihr das Klebeband über den Mund. Nun war es Toni, der über sein eigenes Leben und über das seiner Mutter bestimmte. Trotz allem liebte er sie und deshalb versorgte er sie, so gut er konnte.

 

3

Natürlich hatte ich mich von der Leiterin der Schöppenstedter Kleiderstube überzeugen lassen, wenigstens zur Adresse von Renate Coburg in der Südstraße zu fahren. Erst wenn sich dort etwas ergab, was den Anschein einer Straftat erwecken würde, hatte ich ihr meine Unterstützung zugesagt. So ist das manchmal, herrschte vor kurzem noch Ebbe in meiner Detektei, konnte ich mich nun der Flut von Aufträgen kaum mehr erwehren.

Da war es durchaus von Vorteil, dass nicht nur Axel mittlerweile einen neuen Wagen fuhr, sondern auch Leonie ein eigenes Auto hatte. Dabei hatte mir Christoph einige Male wegen der vielen teuren Ersatzteile, die der Freund meiner Azubine in dem Wagen verbaute, sein Leid geklagt. Ein kleiner Gebrauchtwagen wäre ihm sicherlich günstiger gekommen.

Nun, in dieser Angelegenheit fuhren Leonie und ich gemeinsam in meinem Volkswagen nach Schöppenstedt. Vielleicht halte ich nur deshalb an meinem Benziner fest, weil ich mich allem Neuen gegenüber zunächst skeptisch zeige, vielleicht aber auch, weil ich für meinen Beruf ein Fahrzeug brauche, welches ich auch in der Pampa mittels Reservekanister ruckzuck nachtanken kann. Wie auch immer, vielleicht liebe ich auch nur den Sound eines Verbrennungsmotors.

„Wieso haben Sie eigentlich das Navi am Start?“, erkundigte sich Leonie, nachdem wir an der Kläranlage vorbei in Schöppenstedt einfuhren. Bevor ich ihr antworten konnte, schickte mich das Navi in die kurz hinter dem Ortseingang rechts abgehende ‚Südstraße‘. „Deswegen, oder hättest du gewusst, wo sich die Adresse unserer Zielperson befindet?“ „Okay Chef, Sie haben mich überzeugt und wer Recht hat gibt einen aus.“

Ich sah meine Auszubildende irritiert an. „Aber sonst geht’s…“ „Sie haben Ihr Ziel auf der rechten Seite erreicht“, fiel mir die Stimme im Navi ins Wort. „Da wäre ich garantiert vorbeigefahren“, räumte ich ein“, als ich den mit allerlei Gestrüpp überwucherten Zaun sah. „Stimmt, man sieht kaum das Haus dahinter“, bemühte sich Leonie um einen ersten Blick auf das Grundstück. „Siehst du irgendwo eine Zaunpforte?“

Ich ließ meine Mitarbeiterin aussteigen und parkte den Wagen möglichst dicht am Zaun, um den Verkehr nicht zu beeinträchtigen. „Ich habe den Eingang gefunden!“, rief mir Leonie zu, während ich ausstieg. Der mannshohe Drahtzaun war bereits an etlichen Stellen durchgerostet. Das Tor einer Einfahrt war dermaßen überwuchert, dass man es kaum noch erkennen konnte. Auf der rechten Seite war es durch eine Eisenkette umwickelt, die mit einem Vorhängeschloss gesichert war.

Gleich rechts daneben befand sich eine ebenso hohe Pforte, deren Schlossriegel in einen der alten Pfosten griff. „Abgeschlossen“, stellte Leonie fest. „Einen Klingeldrücker gibt es nicht.“ „Brauchen wir auch nicht“, entgegnete ich, den Pfosten so weit zur Seite drückend, bis der Riegel daran vorbeilief. „Na das war ja jetzt einfach“, bemerkte sie verblüfft. „Was, wenn die Frau zu Hause ist?“ „Dann war die Pforte eben nur angelehnt. Letztlich kommen wir in guter Absicht.“ „Na dann…“

Wenige Schritte hinter dem Zaun befand sich ein kleines Gebäude, welches lediglich aus Parterre und einem Spitzdach bestand. Ein kleines Vordach mit einem seitlichen Windfang sollte die Haustür vor Wind und Wetter schützen. Eine Klingel gab es auch hier nicht und so klopfte ich an eine der schmalen Glaseinlagen zwischen den Holzstegen der Tür. Da diese aus bronzefarbenem Rauchglas gearbeitet waren, war es uns nicht möglich, in den Flur zu sehen.      

Als niemand öffnete, versuchten wir einen Blick durch die zum Teil aufgezogenen Gardinen in das Innere des Hauses zu werfen. Während Leonie das Gebäude im Uhrzeigersinn umrundete und ich in die entgegengesetzte Richtung, trafen wir uns auf der Rückseite. Ein paar Bäume grenzten das hinter dem Haus gelegene Feld ab. Dahinter befanden sich weitere Bäume, die den Ortsrand markierten.

„Es scheint niemand im Haus zu sein“, stellten wir übereinstimmend fest. „Wie alt ist diese Frau Coburg eigentlich?“, fragte Leonie, während wir das Grundstück nach irgendeinem Anhaltspunkt absuchten. „Ups, ich habe gar nicht gefragt, aber ich denke sie wird ungefähr im selben Alter wie unsere mögliche Klientin sein.“ „Dafür ist der Garten eigentlich noch recht gut in Schuss“, lobte Leonie. „Auch wenn die Zwergenparade vor dem Haus eigentlich nicht meins ist.“

Wieder vor dem Hauseingang angelangt, warf ich einen Blick auf die kleinen Zipfelmützenträger. Bei der Gelegenheit fiel mir dank der Sonne eine Reflexion in der Krone des Schneewittchens auf. Wenn es das war, für das ich es hielt, konnte es sinnvoll sein, den Zwergen zunächst keine weitere Beachtung zu schenken und einige Meter zur Seite zu gehen.

„Okay, hier scheint alles in Ordnung zu sein. Die Frau ist bestimmt auf Reisen und wird schon bald gut erholt und braun gebrannt wieder zurück sein“, erklärte ich meiner Auszubildenden. Ich deutete in die dem Haus abgewandte Richtung des Gartens. „Wir können ja noch mal dort hinten nachsehen.“ Leonie sah mich verwundert an und folgte mir. Als wir außerhalb des Erfassungsbereichs einer eventuell vorhandenen Kamera waren, setzte ich sie ins Bild.

„Sind Sie sicher, Chef?“ „Eben nicht, aber wenn ich recht habe, stimmt hier etwas nicht.“ „Aber wie sollen wir herausfinden, ob in dem Schneewittchen tatsächlich eine Kamera verbaut ist? Vielleicht ist es ja auch nur so eine solarbetriebene Beleuchtung, wie sie jetzt immer mehr in den Gärten auftauchen. Onkel Christoph hat das halbe Grundstück mit den Dingern vollgepflastert.“ „Das ist allerdings eine gute Frage“, gestand ich nachdenklich ein.

„Wenn da eine Kamera drin ist, nutzt sie ja nur etwas, wenn sie live Bilder liefern kann“, sinnierte ich. „Ein Kabel habe ich nicht gesehen“, überlegte ich weiter. „Also müsste das Gerät über ein Wlan-Netz mit einem Empfänger verbunden sein“, schlussfolgerte ich. „…und das könnte ich mit meinem Smartphone einfach überprüfen“, zückte Leonie ihr Handy.

Während meine Azubine die Wlan-Suchfunktion aktivierte, schlichen wir uns auf Umwegen außerhalb eines möglichen Erfassungsbereichs der Kamera an. Bereits in fünf Metern Entfernung zeigte ihr Handy ein entsprechendes Netz an. Ich legte den Zeigefinger über meine Lippen und bedeutete ihr den Rückzug an. Kurz darauf verließen wir das Grundstück auf demselben Weg, wie wir es zuvor betreten hatten. Ich bog den Pfosten wieder über die Schließe des Schlosses und wir fuhren ab.

„Hast du dir den Namen des Wlan-Netzes gemerkt?“, fragte ich vorsichtshalber nach. „Ich hab’s gespeichert“, beruhigte mich Leonie. „Gut gemacht“, lobte ich. „Damit dürfte klar sein, dass da etwas nicht stimmt“, schlussfolgerte sie. „So einfach ist es leider nicht“, bremste ich. „Wer sagt denn, dass sich die Vermisste die Kamera nicht selber installieren ließ?“ Leonie stutzte. „Das glauben Sie doch selber nicht, Chef.“ „Nein, aber ausschließen können wir es auch nicht. „Wir müssen mehr zu dem Wlan herausfinden. Am besten sehe ich mich heute Nacht im Haus um.“

„Das passt gut, mein Freund ist auch auf Achse“, hatte mich Leonie offenbar missverstanden. „Es ehrt dich, wenn du dabei sein möchtest, aber das, was ich vorhabe, ist ungesetzlich und somit für dich tabu.“ „Ach Chef, immer wenn es spannend wird, bin ich außen vor. Wie soll ich denn jemals etwas lernen, was nicht so ganz astrein ist, wenn Sie mich nicht mitnehmen?“ „Kurze Antwort, nie.“ Leonie schüttelte verständnislos den Kopf. „Aber…“ „Nie!“

Zurück in der Detektei widmete sich Leonie der IP-Adresse. Hierbei führen verschiedene Wege zum Ziel. Zunächst gab sie die auf ihrem Handy gespeicherten Daten aus der Schneewittchen-Kamera in die Suchmaske eines Whois-Dienstes ein. Heraus kam ein Server, der in Lettland stand.

„Wir haben es keinesfalls mit einem Anfänger zu tun, Chef“, ließ mich meine Azubine nach weiteren erfolglosen Feststellungsrunden aufhorchen. „Wer auch immer die Verbindung zur Kamera anlegte, weiß genau, was er tun muss, um die eigene IP und somit die Identität des Empfängers zu verschleiern. Da war eindeutig ein Profi am Werk.“ „Ich frag mich, wer so einen Aufwand betreibt, um eine alte Dame die offensichtlich so wenig begütert ist, dass sie in die Kleiderstube gehen muss, zu überwachen und möglicherweise zu entführen.“

„Möglicherweise geht es ja auch gar nicht darum, die alte Frau auszuspionieren, sondern das, was vor dem Haus geschieht, zu sondieren“, warf Trude einen neuen Gedanken auf, nachdem sie unserem Gespräch eine Weile beigewohnt hatte. „Was bleibt, ist die Frage nach dem Warum?“, sinnierte ich. „Sie durchleuchten bitte die Vergangenheit von Frau Coburg“, beauftragte ich Trude. „Ich will wissen, wer diese Frau war, womit sie ihr Geld verdiente, ob es Angehörige und Freunde gibt oder gab.“

„Dann haben wir also einen weiteren Fall in der Pipeline?“, stellte Leonie eine gute Frage. „Das entscheidet sich erst, wenn ich mit Frau Sölltig telefoniert habe“, entgegnete ich. „Schließlich können wir nicht ‚pro Bono‘ übernehmen.“ „Was machen wir mit Frau Reuter“, erinnerte mich meine Azubine. „Stimmt, der Gang steht mir ja auch noch bevor. Ich weiß gar nicht, wie ich der Frau beibringen soll, dass sie von ihrem Ehemann betrogen wird.“ Leonie zuckte mit den Achseln. „Sie brauchen ihr doch einfach nur die Fotos geben. Der Rest erklärt sich doch von allein.“

Ich sah meine Auszubildende verkniffen an. „Wie würdest du es finden, wenn man dir eine solche Nachricht in einer so emotionslosen Weise überbringen würde?“ „Na, ich wäre stinksauer auf meinen Kerl. Wahrscheinlich würde ich dem einen Liter Rizinusöl in seinen Fitnessdrink mischen.“ „Eine angemessene Reaktion“, pflichtete ihr Trude bei. „Hauptsache, dein Max weiß, was ihn im Ernstfall erwartet“, versuchte ich mir die Folgen auszumalen.

„Also gut, dann telefoniere ich zunächst mit Frau Sölltig, überbringe dann Freu Reuter das Ergebnis der Überwachung ihres Mannes und fahre dann, wahrscheinlich noch einmal nach Schöppenstedt, um mir das Häuschen von Frau Coburg genauer anzusehen.“ „Bleibt noch Axel“, erinnerte mich Trude. Ich griff mir an den Kopf. „Mist, der mimt ja immer noch den Hausmeister in der Musik-Akademie. Tja Leonie, da wirst du ihn wohl oder übel erst einmal ablösen müssen, bis dort die letzte Messe gesungen ist.“ Meine Azubine starrte mich irritiert an. „Aber ich dachte, ich könnte Sie…“

Es war klar, worauf sie hinauswollte, aber als Auszubildende durfte ich sie auf keinen Fall in strafbare Aktivitäten miteinbeziehen. „Nein, nein, ich habe dir doch erklärt, dass du bei der Inspektion des Hauses nicht dabei sein kannst.“ „Inspektion?“, hakte Trude nach. „Einbruch trifft es wohl eher“, brachte es Leonie auf den Punkt. „Um Himmels Willen, es reicht doch wohl, wenn der Chef deswegen im Knast sitzt.“ Ich verdrehte die Augen und verschwand in meinem Büro.       

Das Telefonat mit Frau Sölltig verlief wie erwartet. Auch wenn sich die Leiterin der Schöppenstedter Kleiderstube mit Frau Coburg angefreundet hatte, war sie aus nachvollziehbaren Gründen nicht bereit, viel Geld für eine Detektei auszugeben. Immerhin einigten wir uns darauf, dass ich mit dem üblichen Satz zunächst zwei Tage weiterermitteln würde und mich dann mit dem Ergebnis meiner Recherchen an die Polizei wenden sollte. Im Falle eines ausreichenden Anfangsverdachts würde die dann übernehmen.

Natürlich hatte ich Frau Sölltig nichts von meiner bevorstehenden Inspektion erzählt. Abgesehen von der Strafbarkeit bestand die Möglichkeit, dass ich dabei Frau Coburg in ihrem Haus finden würde. Nach mindestens vier Tagen musste ich bei diesem Szenario das Schlimmste befürchtet werden. So gesehen bestand also auch Gefahr im Verzug.

 

4

Nachdem sie ihre Augen zögerlich geöffnet hatte, versuchte sie sich zunächst zu orientieren. Was allerdings an der sie umgebenden Dunkelheit scheiterte. Ein moderiger Geruch stieg ihr in die Nase, kitzelte ihre Schleimhäute und brachte sie zum Nießen. Als sie sich reflexartig die Hand vor den Mund halten wollte, spürte sie den Druck um ihre Handgelenke. Panisch riss sie an den Fesseln, bäumte sich auf und fiel kraftlos zurück. Erst jetzt bemerkte sie, dass sich auch ihre Beine nicht bewegen ließen.

Einzig ihr Mund ließ sich öffnen, ihre Lippen sich zu einem Schrei formen. Ein Schrei, der aus der Tiefe ihres Körpers entsprang und all das Entsetzen über das, was ihr angetan wurde, in die Dunkelheit hinauskatapultierte.

Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, ehe sich die Zimmertür öffnete und grelles Licht den Raum flutete. „Was ist?“, fragte eine Stimme, die ihr nicht unbekannt war. „Ich habe Durst, fiel ihr in diesem Moment nichts Besseres ein. Wahrscheinlich weil ihr Mund wie ausgetrocknet wirkte und sie Schwierigkeiten beim Schlucken hatte. „Moment, ich hole dir was zu trinken“, entgegnete die Stimme freundlich und vollkommen ruhig, bevor der Mann das Zimmer verließ, ohne die Tür hinter sich zu schließen.

Sie hatte ihn nur schemenhaft wahrgenommen. Noch immer blendete das Licht vom Flur. Ihre alten Augen konnten sich nur schwer daran gewöhnen und dann war da ja auch noch die Brille. Wo war die eigentlich? Sie wandte den Kopf zur Seite, sah auf den Nachtschrank neben dem Bett. Wer auch immer der Mann mit der ihr bekannten Stimme war, er würde sie ihr bestimmt nicht geben. Sie vernahm seine Schritte, hörte, wie er wieder langsam näherkam. Wo war sie hier nur? Wie kam sie an diesen Ort? Was war geschehen?

„So, hier ist dein Wasser“, sagte er, als er den Raum betrat und sich dem Bett näherte. Als er sich über sie beugte, seine Hand unter ihren Kopf schob und ihr behutsam das Glas an die Lippen setzte, um ihr Schluck um Schluck zu trinken gab, erkannte sie in ihm den Paketboten. „Ich kenne Sie“, sagte Renate, ohne dabei über mögliche Folgen nachzudenken. „Ja natürlich“, entgegnete er, als wären sie seit Jahren miteinander vertraut.

„Ich erinnere mich. Sie haben mir ein schweres Paket ins Haus getragen. Sie wollten auf die Toilette, dann ist alles wie weg. „Haben Sie mich geschlagen?“ „Was redest du da nur, Mutter?“, reagierte Toni weiterhin gelassen. „Das muss von deinem Sturz kommen. Du hast dir dabei sicherlich den Kopf angeschlagen.“ „Weshalb haben Sie mich an dieses Bett gefesselt?“, ging die alte Frau nicht auf seine Erklärungen ein. „Wir können es nicht riskieren, dass du erneut stürzt. Du weißt doch, wie schnell dir schwindelig wird, wenn du das Bett verlässt. Es ist zu deinem Besten, Mutter.“

„Bitte, lösen Sie mir wenigstens die Handfesseln. Die Riemen tun mir so weh“, bat Renate. „So lange du noch so verwirrt bist, muss ich darauf bestehen. Wie gesagt, es dient deiner Sicherheit.“ Damit verließ er den Raum.

All das konnte doch nur ein schlechter Traum sein. Und doch, ihre Fesseln waren ebenso real wie der Wahnsinnige, der ihr all das antat. Sie überlegte, wie sie sich aus ihrer Lage befreien konnte, wie lange es dauern würde, bis jemand sie vermisst und nach ihr sucht. Ernüchtert stellte sie schließlich fest, dass es niemanden gab, der sie vermissen würde und aus diesem Grund auch niemanden, der nach ihr suchen würde.

Aus lauter Verzweiflung begann sie zu schreien, so laut es ihr möglich war. Immer wieder und immer leiser, weil ihr die Kraft schwand und der Mund immer trockener wurde. Obwohl sie kein besonders gläubiger Mensch war, betete sie zu Gott, flehte ihn an, dass ihr Martyrium ein baldiges Ende fand und alles wieder normal war, wenn sie aufwachte. Irgendwann schlief sie trotz der Angst, trotz der Schmerzen an Fuß und Handgelenken darüber ein.

Mitten in der Nacht schreckte sie plötzlich auf. Zunächst schien es keinen Grund dafür zu geben, doch dann nahm sie neben ihrem eigenen Atem das Atmen einer weiteren Person wahr. Sie hielt die Luft an, horchte für die Dauer einiger Atemzüge in die Dunkelheit. Sie spürte, wie jemand an ihrem Bett saß. Sie roch seinen Schweiß und den Geruch, den er beim Atmen ausstieß. Ein penetranter Geruch nach Knoblauch, oder war es Bärlauch?

Vampire meiden Knoblauch, schoss es ihr durch den Kopf. Sie wollte um Hilfe rufen, doch selbst der leiseste Laut erstarb in ihrer Kehle. Sie riss an ihren Fesseln, ohne dass die um eine Winzigkeit nachgaben. „Ganz ruhig, Mutter“, vernahm sie seine Stimme. „Du hattest einen bösen Traum.“ „Weshalb tun Sie mir das an?“, begann sie zu weinen. „Von was sprichst du?“ „Sie irren sich, ich bin nicht Ihre Mutter!“, schrie sie ihn an. Er zündete eine Kerze auf dem Nachtschränkchen neben ihrem Bett an, hob ihren Kopf und gab ihr erneut zu trinken. Dabei lächelte er sie sanftmütig an. „Aber das weiß ich doch, Mutter.“ 

Bitte hören Sie auf damit, ich hatte nie einen Sohn. Während sie es aussprach, dachte sie an das Kind, was sie nie zur Welt gebracht hatte, weil sie es im vierten Monat verlor und Tränen rannen über ihr Gesicht. „Bitte, lassen Sie mich wenigstens mal zur Toilette. Ich laufe Ihnen schon nicht davon“, verzog sie ihr Gesicht zu einem verkrampften Lächeln. „Na siehst du, so langsam scheinst du dich ja wieder zu beruhigen“, erwiderte er ihre Reaktion und löste zunächst die Gurte an den Beinen. Renate schloss für die Dauer eines Atemzugs ihre Augen um innezuhalten. Sie wusste, dass sie gegen den kräftigen Mann keine Chance hatte. Es musste einen anderen Weg geben, um sich diesem Irrsinn zu entziehen. Vielleicht konnte sie sein Vertrauen gewinnen?

Nachdem er auch ihr linkes Handgelenk befreit hatte, schob er die Bettdecke zur Seite und half ihr dabei, sich aufzurichten. Zum ersten Mal sah sie, wenn auch nur im flackernden Kerzenschein, was sie am Körper trug und ihr wurde bewusst, dass er sie fast nackt gesehen haben musste, als er ihr ein fremdes Nachthemd angezogen hatte. Sie folgerte, dass es sich um die Nachtwäsche seiner wirklichen Mutter handeln musste. Ein böser Verdacht drängte sich in ihre Gedanken. Was, wenn sie nicht die erste Frau war, die er auf ähnliche Weise und aus demselben Grund hierher verschleppt hatte? Wie wahnsinnig war dieser Kerl wirklich und was war aus den anderen möglichen Opfern geworden?

Als er sie an der Hand auf die Beine zog, war ihr für einen Moment schwindelig. Sie hielt sich kurz an einem der Bettpfosten fest. Er löste sich von ihr, ging zur Tür und schaltete das Licht ein. Es blendete in ihren Augen. Zaghaft setzte sie ein Schritt vor den anderen. Sie fühlte sich unsicher, hätte sich am liebsten an irgendetwas festgehalten, doch da war nichts, weder ein Stuhl noch ein Schrank. In diesem Raum befand sich nichts außer dem Bett, auf dem sie gelegen hatte.

„Geht es dir wieder besser?“, erkundigte sich der Paketbote. Hatte er ihre kleine Schwindelattacke bemerkt? „Bitte, wo ist die Toilette?“, entgegnete sie, ihre Schwäche nicht eingestehen wollend.“ Toni sah sie merkwürdig verwundert an. „Du wirst ja wohl wissen, wo das Klo ist.“ „Ja natürlich, ich bin von dem Traum nur noch so durcheinander“, entschloss sie sich aus der Not, sein Spiel nun mitzuspielen. „Bringst du mich hin, mir ist noch so wackelig auf den Beinen.“

„Falls es dir wieder schlechter geht, bleibe ich solange vor der Tür stehen“, bemühte er sich, als sie im Badezimmer verschwand. Renate antwortete nicht. Ein Blick auf die Kloschüssel trieb ihr den Ekel ins Gesicht. Obwohl sie nach wie vor mit ihrem Kreislauf zu kämpfen hatte, vermied sie es, sich zu setzen. Als sie sich in dem pekigen Waschbecken die Hände wusch, bemerkte sie einige Dosen und Tuben mit Creme, eine Bürste, die mit grauen Haaren überladen war. An der Seite, neben der versifften Badewanne, ein Berg mit Wäsche, der vor einer Waschmaschine lag.

„Alles in Ordnung?“, vernahm sie Tonis Stimme. „Ja.“ Durch das winzige Fenster wehte ein wenig frische Luft herein. Es war viel zu klein, dass sie hindurch gepasst hätte. Sie sah hinaus. Im ersten Licht der aufgehenden Sonne erkannte sie einen Hügel, an dessen seicht abfallendem Hang sich ein Feld mit Zuckerrüben schmiegte. Nur noch wenige Wochen, bis der Bauer sie ernten würde“, sinnierte sie. Wurde sie auf einem Bauernhof festgehalten? Alles was sie sah, war dieser Hügel und einige Häuser in weiter Ferne. Nichts, woraus sie schließen konnte, wo sie sich befand.

Sie verließ das Bad, welches nicht mehr als eine Kloake war. Noch einmal würde sie die Toilette nicht benutzen, da war sie sich sicher. Eher wollte sie hinter das Haus gehen und sich zwischen den Zuckerrüben erleichtern. „Ich habe Durst“, forderte sie den Paketboten auf, für Abhilfe zu sorgen. „Erst gehst du wieder ins Bett“, bestimmte er. „Du hast doch bemerkt, wie wackelig du noch auf den Beinen bist.“ Womit er die alte Frau auch schon in die Richtung schob.

Renate lag kaum wieder im Bett, als er sie wieder anschnallen wollte. „Das musst du nicht tun, ich werde ab jetzt ganz brav sein und das machen, was du verlangst“, gab sie ihm zu verstehen. Seine Stirn krauste sich. Sein stechender Blick durchbohrte ihre Seele. „Also gut, aber du bleibst im Bett.“

 

5

Trotz der gut gemeinten Warnungen meiner Mädels machte ich mich auf den Weg zu Frau Reuter. Kein einfacher Weg, wenn ich an die eindeutigen Fotos denke, die ich von den Freizeitaktivitäten ihres Mannes geschossen hatte. Eigentlich übernehme ich diese Art von Aufträgen nur sehr ungern, aber Frauke war eine gute Bekannte von Miriam und deshalb blieb mir keine Wahl. Nachdem meine Liebste die Fotos gesehen hatte, wollte sie ihr das Ergebnis meiner Recherchen natürlich nicht selber überbringen.

Als ich mit dem Kuvert vor ihrer Haustür stand, öffnete sie mir mit einem Lächeln auf den Lippen. „Mein Mann hat mir alles gebeichtet“, erklärte sie. „Ich benötige Ihre Dienste nicht mehr“, überraschte sie mich. Ich reichte ihr den Umschlag. „Machen Sie damit, was Sie wollen, ich will die Fotos gar nicht mehr sehen.“ „Aber…“ „Wir starten einen Neuanfang. Bitte schicken Sie mir Ihre Rechnung, Herr Lessing“, fertigte sie mich vor der Haustür ab. „Wie Sie wollen“, zuckte ich mit den Achseln. „…und vielen Dank. Grüßen Sie Miriam.“

„Wer war das denn, Schatz?“, vernahm ich die Stimme ihres reumütigen Ehemannes durch die inzwischen geschlossene Tür. „Ein Vertreter für Fotovoltaikanlagen. Ich habe ihn in die Wüste geschickt.“

Ich steckte das Kuvert in die Seitenablage meines Wagens. Wegwerfen konnte ich die Fotos immer noch. Man weiß ja nie. Während ich mich auf den Weg nach Schöppenstedt machte, fragte ich mich, wie es sowohl Männer als auch Frauen immer wieder schaffen, ihren Lebensgefährten auf eine so schamlose Weise zu betrügen und dann auch noch frech ins Gesicht zu lügen. Klar hatte ich das bei irgendwelchen Nebensächlichkeiten auch schon versucht, war aber jedes Mal kläglich gescheitert. Ich bin eben zu gut für diese Welt.

Nicht zu schade fühlte ich mich hingegen, um notfalls auch in das Haus von Renate Coburg einzubrechen. Letztlich ging es um nicht weniger, als ihr plötzliches Verschwinden zu überprüfen. Manchmal heiligt der Zweck eben die Mittel, redete ich mir ein, als ich zunächst am Grundstück der Zielperson vorbeifuhr, um meinen Wagen ein Stück weiter vor dem Gebäudekomplex einer dort ansässigen Firma zu parken.

Das nötige Equipment hatte ich bereits in der Detektei zusammengepackt. Im spärlichen Licht der wenigen Straßenlaternen schnappte ich mir den Rucksack, warf ihn mir auf den Rücken und nahm Kurs auf das etwa fünfzig Meter zurückliegende Objekt meiner Begierde. Obwohl es eigentlich noch nicht spät war, nutzten nur wenige Autos die an den Bahngleisen entlangführende Nebenstraße.

Nachdem ich mich vergewissert hatte, dass im Haus kein Licht brannte, überstieg ich den Zaun auf der dem Feld zugewandten Seite des Grundstücks. Ich hatte am Nachmittag festgestellt, dass es hier keine Überwachungskameras gab und der Zaun niedriger als an der Straße war. Im Licht einer direkt vor dem Grundstück stehenden Laterne konnte ich mich ohne Taschenlampe durch den Garten auf die rückwärtige Seite des Hauses zubewegen.

Alles war so wie bei meinem ersten Besuch. Keine Gardine war bewegt worden und kein Gegenstand verschoben. Die alten, einfachverglasten Fenster boten nur wenig Widerstand und so ließ sich der Holzrahmen in der Küche problemlos öffnen. Bevor ich einstieg, zog ich das Rollo hoch und räumte einige Schalen und Töpfe, die auf dem Tropfblech der Spüle abgestellt waren.

Ein Blick in den Kühlschrank verriet, dass die Vermisste für den nächsten Tag vorgekocht hatte. Es war folglich keine Reise geplant. Nachdem ich die Küche sorgfältig nach weiteren Indizien, die auf eine Straftat schließen ließen, abgesucht hatte, schaltete ich meine Taschenlampe wieder aus und öffnete die bis dahin geschlossene Tür zum Flur. Falls sich dort eine weitere Kamera befinden sollte, wollte ich verhindern, dass mein Einbruch bemerkt wurde.

Mit äußerster Vorsicht und auf Zehenspitzen tastete ich mich durch den Korridor. Dabei behielt ich den Detektor zum Auffinden von Kameras und Wanzen stehts im Blick. Erst als ich sicher sein konnte, dass sich im Flur kein Gerät befand, sah ich mich im Licht meiner Taschenlampe genauer um. Natürlich kannte ich nicht die Verhältnisse, in denen Renate Coburg lebte, und so konnte ich weder sagen, ob sie einen Schirm mitnahm oder eine Jacke trug, als sie das Haus verließ, aber ihren Gehstock hätte sie im Normalfall bestimmt mitgenommen.

Nun, auch davon könnte sie mehrere besitzen. Ich nahm mir vor, Frau Sölltig bei Gelegenheit danach zu befragen und machte ein Foto. Mir fiel auf, dass in dem kleinen Kästchen neben der Haustür kein Schlüssel hing. Es ist logisch, den Haustürschlüssel beim Verlassen der Wohnung mitzunehmen, aber schleppt man auch den für den Briefkasten und den für den Schuppen mit? Bereits am Nachmittag war mir das Vorhängeschloss daran aufgefallen.

Bevor ich die nächste Tür öffnete, schaltete ich wieder die Lampe ab und konzentrierte mich auf den Detektor. Schließlich betrat ich das Bad. Es wäre schon äußerst perfide, wenn sich hierin eine Überwachungskamera befände, aber nichts ist so schäbig, dass man eine solche Perversion nicht auch ins Kalkül ziehen müsste. Ich atmete auf, als sich mein Verdacht nicht bestätigte.

In Küche, Flur, Bad und Schlafzimmer waren also keine Kameras angebracht. Allmählich fragte ich mich, wer das Schneewittchen präpariert hatte und vor allem, aus welchem Grund. Trudes Recherchen bezüglich eines Vermögens der Vermissten waren bislang ergebnislos geblieben. Abgesehen von dem Grundstück und dem alten Gebäude, in dem ich gerade nach Anhaltspunkten für ihr Verschwinden suchte, gab es nichts, was einen Entführer reizen konnte.

Ich fragte mich, ob Frau Coburg ein Geheimnis mit sich trug. Welchen logischen Grund sollte es sonst geben? Zurück im Korridor öffnete ich vorsichtig die Tür zum Wohnzimmer. Ich sah in den einzigen Raum, der wegen der zugezogenen Gardinen von außen nicht einsehbar war. Ich hielt den Detektor in der ausgestreckten Hand und betrat langsam den Raum. Der Zeiger schlug aus. Ich bewegte das Gerät in die Richtung, aus der das Signal am intensivsten kam. Dabei schob ich mich immer weiter in den Raum.

Plötzlich spürte ich, wie eine der alten Dielen unter meinem Fuß nachgab. Ein metallisches Klicken war zu hören. Im selben Moment durchschoss ein absurder Gedanke meinen Verstand. Hatte ich gerade einen Druckschalter aktiviert? Das Herz pochte mir bis zum Hals. War es denkbar, dass der Entführer sein perfides Spiel mit mir trieb?

Weshalb sollte sich jemand solche Mühe mit einer Sprengfalle machen? Ich fragte mich, ob ich nicht gerade überreagierte, doch dann wurde mir klar, dass bei diesem Fall nichts normal schien. Kalter Schweiß stand mir auf der Stirn. Ich etwa, dass ich Angst gehabt hätte, aber Mulmig war mir schon. Wer nicht selber in vergleichbarer Situation auf einer möglichen Bombe gestanden hat, kann wohl nur sehr schwer nachvollziehen, was es mit einem macht, wenn man das für und wider miteinander abwägen muss.

Ich sah mich um. Alles, was sich in Reichweite zu mir befand, konnte mir jetzt das Leben retten. Es musste nur schwer genug sein. Wenn es mir gelang, die etwas weiter als einen Meter von mir entfernt stehende Kommode behutsam auf die Diele zu schieben, während ich gleichzeitig langsam meinen Fuß entlastete und schließlich hinunternahm, war ich gerettet.

Vorsichtig drehte ich meinen Fuß so, dass ich mich zur Seite neigen konnte um mit den Händen an den Schrank zu gelangen. Während ich an die Kannte der dicken Eichenplatte griff, um das schwere Möbel in meine Richtung zu ziehen, musste ich einiges an Kraft aufwenden, was zur Folge hatte, dass ich mein Gewicht verlagerte. Im letzten Moment spürte ich, wie die Spannung der Diele unter meinem leichter werdenden Fuß nachgab.

Ich erstarb in meiner Bewegung, hielt den Atem an und hörte, wie mein Herz immer lauter schlug. Im Nachhinein frage ich mich, was ich in diesem Moment eigentlich hören wollte. Der Knall, der von einer Stange Dynamit ausgelöst wird, konnte es doch wohl nicht sein. Ich versuchte mich zu beruhigen.

Da stand ich nun und hatte ein Problem. Allein kam ich aus der Nummer nicht wieder raus, also musste Hilfe her. Die Frage, was ich in einem fremden Haus machte und wie ich hineingekommen war, erschien mir in diesem Moment eher zweitrangig. Wie gut, dass ich mein Handy einstecken hatte. Der Griff danach ging allerdings ins Leere. Ein weiterer und ein dritter ebenso. Aber ich hatte es doch eingesteckt?

Der Zaun, schoss es mir durch den Kopf. Es musste mir beim Übersteigen des Zaunes aus der Tasche gefallen sein. Es gibt Tage, an denen man besser im Bett geblieben wäre. Letztlich nutzt es nichts, mit seinem Schicksal zu hadern oder in einer solchen Situation herum zu lamentieren. Ich war gerade dabei, mich auf einen Sprint einzustellen, als ich ein Scheppern in der Küche vernahm. Mein erster Gedanke galt einer Katze. Mein zweiter Gedanke galt dem Fenster, welches ich nach meinem Einstieg wieder sorgsam geschlossen hatte. Kurz darauf hörte ich, wie sich die Küchentür öffnete.

 

6

Während Renate angespannt darüber nachdachte, wie sie fliehen konnte, vernahm sie undefinierbare Geräusche. Sie fragte sich, was der Wahnsinnige trieb und was er hatte ertragen müssen, um den Verstand zu verlieren. Sie war sich sicher, dass er nicht immer verrückt gewesen war. Die Tochter eines Bekannten war schizophren, erinnerte sie sich, doch die benahm sich vollkommen anders.

Irgendetwas stieß hart gegen die Tür. Im nächsten Augenblick öffnete sie sich und der Paketbote stand mit einem Tablett vor dem Bett. „Ich habe dir Frühstück gemacht, Mutter“, sagte er mit einem breiten Grinsen und obwohl es eigentlich noch Nacht war. Es war eine Situation, wie sie nicht grotesker hätte sein können und doch bestätigten sich gerade die Gedanken der alten Frau im Bett. Sie führten dazu, dass sie seine Vorstellung von den Gegebenheiten nicht länger widersprach und seine Realität akzeptierte. Wenn dies der Weg war, auf dem sie am Leben blieb, wollte sie ihn gehen.

Er trat neben das Bett und setzte das Tablet auf dem Nachtschränkchen ab, dann nahm er ein Kissen und legte es Renate in den Rücken. „Sitzt du bequem?“, erkundigte er sich fürsorglich. „Ja, ja danke“, reagierte sie unsicher. „Ich habe dir Müsli gemacht, dass magst du doch so gern.“ „Oh ja, vielen Dank. Da hast du dir aber Mühe gemacht“, lobte sie.

Toni verzog das Gesicht. Hinter seiner Stirn war mächtig Bewegung. Renate spürte, wie angespannt er reagierte. Es schien, als müsse er sein eigenes Spiel überdenken. Hatte sie mit ihren Worten überzogen? Sie zweifelte. Wenn er sich nun von ihr veralbert fühlte, hatte sie seine Lunte entfacht und es kam unweigerlich zur Explosion. „Es ist gut, wenn du dich wohlfühlst, Mutter.“

Während sie sich einen Löffel Müsli nach dem anderen in den Mund schob, überlegte sie, wie sie ihre Worte angemessen dosieren sollte. Wagte sie zu wenig, würde er ungeduldig werden. War sie zu forsch, konnte sie sein Vertrauen verspielen und ihr Leben womöglich verlieren.

„Sehr lecker“, schwärmte sie von dem Müsli. „Hast du auch Kaffee gekocht?“ Toni starrte sie an. „Seit wann trinkst du Kaffee?“ Schon wieder ein Fehler, schoss es ihr durch den Kopf. „Mit dem Alter verändert sich der Geschmack“, versuchte sie sich herauszureden. „Magst du jetzt keinen Tee mehr?“ „Doch, natürlich“, entgegnete sie beschwichtigend. „Soll ich dir eine Tasse einschenken?“ „Gern.“

Renate atmete erleichtert auf Ihr war klar, dass sie vorsichtiger sein musste und so beschloss sie, in Zukunft lieber auf das zu reagieren, was er ihr vorgab und sich so viel wie möglich von dem, was er sagte, zu merken. Sie wusste, dass sein Vertrauen der Weg zurück in ihr Leben war.

7

Was für eine bescheidene Situation? Weder wusste ich, wer jeden Moment aus der Küche in den Flur treten würde, noch konnte ich etwas an meiner Position verändern. Zaghaft drehte ich mich so, dass ich zumindest sehen konnte, was auf mich zukam. Der Detektor hatte im Wohnzimmer eine Kamera angezeigt, aber noch hatte ich sie nicht entdeckt. Ich überlegte, ob sie mich bereits erfasst und an den Entführer übermittelt hatte. Würde ich ihm mit dem nächsten Atemzug gegenüberstehen? Ich suchte mit meinen Händen tastend nach einem Gegenstand, mit dem ich mich verteidigen konnte.

Ich rührte mich nicht, atmete flach, um selbst das kleinste Geräusch zu vermeiden. Ich lauschte in die Dunkelheit und hörte, wie er nun den Flur betrat. Ein Lichtstrahl fiel durch die offenstehende Tür zum Wohnzimmer und zerhackte die Finsternis. Der Unbekannte näherte sich. Noch hatte er mich nicht gesehen. Meine Hände griffen nach einer Vase. Ich machte mich für was auch immer bereit.

Er betrat den Raum. Ich hob die Vase. Meine Muskeln spannten sich an. Der Adrenalinspiegel schoss in die Höhe. Ich richtete die Taschenlampe auf die Stelle, an der ich den Unbekannten erwartete, und schaltete sie an. Mit der anderen Hand holte ich aus, bereit, die Keramik auf den mutmaßlichen Angreifer abzufeuern.

„Leonie!“, rief ich erleichtert und gleichzeitig verwundert. „Was um Himmels Willen machst du hier?“ „Schätze, dass selbe wie Sie.“ „Während ich mich nur langsam beruhigte, spürte ich, wie es in meinem Bein kribbelte und sich eine Art Taubheit darin ausbreitete. „Was ist los, Chef? Sie stehen da wie anwurzelt.“ „Das triffts recht gut. Ich stehe hier auf einer Fußbodendiele, die durch mein Gewicht möglicherweise einen Mechanismus ausgelöst hat, der wahrscheinlich, sobald ich den Fuß hebe, eine darunter befindliche Bombe zur Expulsion bringen würde.“

Meine Azubine starrte mich ungläubig an. „Sie wollen mir einen Bären aufbinden, Chef. Ich weiß, wann Sie mich verarschen wollen.“ „Diesmal irrst du dich“, erwiderte ich äußerlich gelassen. „Aber dann müssen wir doch einen Bombenentschärfer allarmieren“, begriff Leonie den Ernst der Lage. „Genau das machen wir auch, sobald wir wissen, ob das da unter mir tatsächlich eine Bombe ist.“ „Wie sollen wir das denn herausfinden?“ Ich sah die Panik in ihren Augen. „Wir müssen jetzt ganz ruhig bleiben. Hektik hilft uns jetzt nicht weiter“, versuchte ich sie zu beruhigen.

„Du gehst jetzt an den Kofferraum meines Wagens und holst den grauen Plastikkoffer und die kleine Lampe.“ „Was haben Sie vor?“ „Mach bitte, um was ich dich gebeten habe!“, verlieh ich meiner Stimme Nachdruck. Auch wenn das kleine Luder meiner Anordnung nicht zum ersten Mal zu wieder gehandelt hatte, war ich heilfroh, dass sie da war. Gerade weil sie oftmals nicht das tat, was alle von ihr erwarteten, war ich mir sicher, dass sie irgendwann eine richtig gute Ermittlerin werden würde.

„Und jetzt?“, kehrte sie mit dem Koffer und der Lampe zurück. „…öffnest du bitte den Koffer, nimmst den Akkubohrer heraus und spannst einen fünfzehn Millimeter Holzbohrer ein. Kriegst du das hin?“ „Ich bin ja nicht aus Dummsdorf.“ Bevor sie das Gerät startklar machte, stellte sie die Lampe auf und schaltete sie an. „Weshalb sollte ich eigentlich nicht das normale Licht einschalten? Der Raum liegt doch nach hinten raus?“ „Ich traue dem Frieden nicht. Wer eine Bombe im Fußboden platziert, könnte ebenso einen Lichtschalter zweckentfremden.“

Leonie reichte mir die Maschine und sah mich erwartungsvoll an. „Gut, und nun gibst du mir bitte noch die Endoskop-Kamera und dann machst du dich hier vom Acker.“ „Ich soll Sie hier allein zurücklassen?“, rebellierte sie. „Das können Sie vergessen, Chef!“ „Jetzt hau schon ab!“, forderte ich sie mit Nachdruck auf. „Wenn wir beide dabei draufgehen, ist niemandem geholfen.“ „Das ist das schlechteste Argument überhaupt“, erwiderte sie. „Wie wollen Sie denn allein das Loch in die Diele bohren und dann gebückt die Kamera bedienen, ohne dabei die Diele zu bewegen? Nichts da, ich bleibe!“

„Na schön, aber dann sollten wir alles daransetzen, dass wir hier keinen Supergau hinlegen.“ „Was soll ich machen?“ Als erstes bohrst du etwa zwanzig Zentimeter von meinem Fuß entfernt vorsichtig ein Loch in die Diele.“ „Okay.“ „Du musst ohne jeden Druck bohren und den Bohrer sofort zurückziehen, wenn du das Holz durchgebohrt hast.“ „Zu blöd, dass die Maschine keinen Tiefenanschlag hat“, begann sie nun auch noch zu fachsimpeln. „Du hast echt eine Meise.“ 

Gesagt, getan! Das Loch war in Null Komma nix gebohrt. „Jetzt leuchtest du in das Loch und sagst mir, was du siehst.“ „Außer Mäusekacke sehe ich nichts. Unter der Diele befindet sich ein etwas acht Zentimeter tiefer Hohlraum“, beschrieb mir meine Azubine, was sie sah. „Das ist gut“, atmete ich auf. „Nun schaltest du den Monitor und die Kamera an, biegst den Schwanenhals so, dass das Objektiv in meine Richtung zeigt. Dann führst du ihn ganz langsam in das Loch ein.“

Während Leonie meine Anweisungen in die Tat umsetzte, leitete ich sie weiterhin an. „Das machst du wirklich gut“, lobte ich sie zwischen durch. „Wir haben eine Menge Zeit.“ Von dem Krampf, den ich inzwischen in meinem Bein hatte, erzählte ich ihr nichts. Es hätte sie nur beunruhigt und nach ein paar Minuten war der auch wieder weg. Es ist erstaunlich, was man alles aushalten kann, wenn einem nichts anderes übrigbleibt.

„Was siehst du?“, fragte ich immer wieder nach. „Da sind Drähte und jetzt sehe ich einen kleinen Kasten“, trieb mir ihre Beobachtung weiteren Schweiß auf die Stirn. „Führen die Drähte in die Kiste?“, erkundigte ich mich. „Sorry, ich muss mich korrigieren. Die Drähte sind ein Bügel und die Kiste ist eine Geldkassette, glaube ich.“ „Wie jetzt? Bist du dir sicher?“ Leonie sah zu mir auf. „Na ja, ich denke schon. Sehen Sie selbst.“ Das Übertragungskabel von der Kamera zum Monitor war zu kurz, um das, was sie zu sehen glaubte, zu überprüfen.

„Okay, ich schätze du hast recht“, nickte ich ihr schließlich zu. „Falls wir uns doch irren, verlässt du jetzt bitte das Haus. Und diesmal dulde ich keinen Widerspruch! Diesen Weg muss ich alleine gehen.“ Leonie zog die Kamera aus dem Loch, sah mir wortlos in die Augen und verschwand in der Küchentür. Ich wartete noch ein paar Minuten, ehe ich allen Mut zusammennahm und ruhig den Fuß hob. Als nichts geschah, verließ ich ebenfalls das Haus, um tief durchzuatmen. Diese Aktion hatte mir mindestens zehn Jahre meines Lebens gekostet.

 

Demnächst Kapittel 8

Am Samstag den 25.10. folgt das letzte Kapitel in der Werkstatt

 

Das fertige Buch kommt voraussichtlich Mitte November in den Handel

 

Auch diesmal habe ich auf dem Weg zur Volendung des Romans einige Hinweise und Anregungen von Ihnen und Euch erhalten. Vielen Dank dafür. Der fertige Krimi wird ab xx.xx.25 im Buchhandel erscheinen und am 19.09.um 19 Uhr im Schmidt Terminal, Halchtersche Straße in Wolfenbüttel von mir in einer Lesung mit Musik von Gudrun Peter vorgestellt.

 

Mein Dank gilt in besonderer Weise, Herrn Jürgen Nieber, der meine Manuskripte aus reinem Idealismus lektorieren. Mit im Team sind die Maler Robert Tschöp, Charlotte Matzeit, Rüdiger Franz und Julia Elena Zeh, die mit ihren Bildern maßgeblich die Einbände zur Detektei Lessing mitgestalten. Überdies mit dabei, der Bremer Fotograf Andreas Eberl, der dem letzten Mike Winter Krimi mit seinem Foto ein Supereinband gab. Den Link zu seiner Argentur findet ihr übrigens auf dieser Website.

Nachdem das fertige Manuskript lektoriert wurde, geht es als Leseprobe in den Downloadbereich.

Kurz darauf ist es dann auch als Taschenbuch zu erwerben.

An dieser Stelle finden Sie nach und nach wieder drei Fragen zum aktuellen Werkstattroman.

Die Antworten bitte bis zum 31.10.25 an Uwe.brackmann59@gmail.com senden.

 

1. welche Arbeit übt Toni aus?

2. wie heißt das Café das Renate häufig besuchte?

3. Was erntet der Bauer auf dem Feld vor dem Badezimmerfenster?

 

 

Hier noch einmal die Spielregeln.

Mit jeder Buchvorstellung, also noch bevor das Buch in den Druck bzw. in den Downloadbereich wechselt, stelle ich an dieser Stelle drei Fragen aus dem Werkstattbuch, die Sie in einer Mail an mich richtig beantworten sollten. Der Einsender jeder zehnten richtigen Mail erhält ein handsigniertes Taschenbuch aus meiner Kollektion. Aber auch die übrigen Mitspieler gehen nicht leer aus. Sofern sie mir die richtigen Lösungen zugemailt haben erhalten sie jeweiles ein E Book zugesandt.

Der Rechtsweg ist ausgeschlossen.

Solange das Buch in der Werkstatt steht, können Sie sich am Gewinnspiel beteiligen. An dieser Stelle sei erwähnt, dass ich mich sehr über die rege Teilnahme und die vielen Mails freue, die bei früheren Gewinnspielen bei mir eingegangen sind.

 

Haben Sie die vorangegangenen Kapitel aufmerksam gelesen? Dann könen Sie die Fragen sicher beantworten. Wenn Sie glauben, alle drei Fragen richtig beantworten zu können, mailen Sie die richtigen Antworten an: uwe.brackmann59@gmail.com

Bis dahin: Ihr Uwe Brackmann

 

vielen Dank für die rege Beteiligung am Gewinnspiel. Es sind wieder zahlreiche richtige Lösungen eingegangen. Alle Gewinner wurden benachrichtigt. Viel Spaß beim lesen des neuen Band 54 mit dem es schon bald in der Werkstatt weitergeht und hoffentlich bis zum nächsten mal.

 

Den 57. Roman aus der

Detektei Lessing

"Dezemberblues"

 

ist ab Mitte November 25 im regionalen Buchhandel und auf Bestellung unter "Kontakt", erhältlich.

Er ist dann auch gern als Geschenk mit Signatur zu erwerben.

Im Downloadbereich, kann er als 7 Kapitel umfassende Leseprobe (Kenntlich machen und kopieren) heruntergeladen werden. Das komplette E-Book ist dann ebenfalls für 2,99 € in einer Mail an "uwe.brackmann59@gmail.com" zu bestellen.

Alle meine Bücher können über die Reiter 'Bücher' und 'Links' bei Amazon, Weltbild, Thalia u.s.w. als E-Book und Band 50 als Hörbuch erworben werden.

In diesen Geschäften sind meine Bücher zu erwerben:

Wolfenbütteler 'Buchhandlung Behr' Kornmarkt

Wolfenbütteler 'Buchhandlung Steuber' Am alten Tore

in Vorsfelde in der Buchhandlung Sopper, Lange Str. 17

im Hornburger Toto Lotto Laden 'Cafè Clemens'

und

Neu!

bei Lotto 'Ebbers', Steinweg 20 in Schöppenstedt.